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VEB Draht- und Seilwerk Rothenburg

Verlassenes Rechenzentrum an der Saale entdeckt

Durch den MDR bekamen wir über die ehemaligen Mitarbeiter des VEB robotron Anlagenbau Halle Kontakt zum Drahtseilwerk Rothenburg/Saale. Ich hatte im Jahre 1999 den Leiter der dortigen EDV mal angerufen und konnte meine Eltern zu einer Fahrt nach Rothenburg überreden (Zu der Zeit hatte von uns noch keiner einen Führerschein), wo sie sich den Tag mit Spaziergängen am Saaleufer und einem Picknick in der Kneipe an der Fähre vertrieben. Als ich am Nachmittag zu ihnen stieß, war ich bis über beide Ohren beladen mit Elektronik-Zeitschriften und technischen Dokumentationen - und das missfiel ihnen ziemlich. Unser Ansprechpartner vor Ort hatte mich zum Frühstück sehr freundlich in den neuen Räumen der EDV-Abt. empfangen und führte mich anschließend quer durch die gesamte Produktion und erläuterte sehr ausgiebig die einzelnen Arbeitsschritte bei der Herstellung von Drahtseilen. Es war ausgesprochen interessant - auch wenn es (wie in Rothenburg generell) nicht unbedingt gut roch (technologiebedingt).

Danach gingen wir in ein im Keller eines ungenutzten Gebäudes liegendes Lager der EDV-Technik. Dort lagen neben ca. 14 t !!! Leporello in Regalen unausgepackte Terminals K89xx, zwei Bürocomputer A5120 mit 8" FDDs, mehrere kleine Grafiktabletts, Software, Ersatzteile, ein K8904-Inbetriebnahme-Gerät, ein BDE2000-Bilderkennungssystem (K1520-basiert mit Zeilenkameras) und eine Minischwall-Reparaturlötanlage vom VEB robotron Rationalisierung Weimar (unbenutzt). Gern hätte ich die ganzen angebotenen Sachen eingesackt aber wie sollte ich das wegtragen? Und vermutlich hätten mich meine Eltern gleich an Ort und Stelle stehengelassen, wäre ich ihnen so erschienen. Ich beschränkte mich auf einen knappen Meter an Heften.

Anschließend wurde ich in das eigentliche RZ geführt, eine stabile Baracke am hinteren Teil des Geländes, direkt am Saaleufer. Die Tür war aufgebrochen und nur durch einen Gasbetonstein gesichert. Allein in den ersten beiden Räumen türmten sich Terminals, Dokumentationen und Bauelemente bis zur Decke. Das war das 1994 versunkene Reich meines Begleiters. Fasziniert streifte ich durch die Reihen der Rechnerschränke mehrerer K1600 und K4201 Anlagen. Ständig galt es, nicht in die aufgehobenen Bodenplatten oder über die umhergeworfenen Magnetbänder zu fallen. In den hinteren Räumen standen weitere K4201 samt Terminals, eine A5220 Datensammelstation, Videoton Paralleldrucker und daro Organisationsautomaten.

Mir wurde gesagt, dass es ihnen unmöglich war, das große Gebäude ständig zu bewachen und so war es den Vandalen preisgegeben, welche am Hinterteil durch eine eingeschlagene Barackenwand zu kommen pflegten. Allerdings bedeutete das auch für uns später, als wir Autofahren konnten, unabhängig vom komplizierten Anmeldeverfahren und ohne die Leute zu nerven (und vor allem auch am Wochenende, wo wir Zeit hatten) nach Rothenburg zu fahren und uns systematisch durch das Chaos zu wühlen, in welchem versunkene Schätze schlummerten, die wir, wenn überhaupt, dann allenfalls aus den Messeberichten der rfe kannten. Jedesmal war der alte Mazda bis zum Achsbruch beladen - und trotzdem haben wir es bis zur Zerstörung des Gebäudes zwei Jahre darauf nicht geschafft, auch nur eine größere Maschine zu bergen, es waren immer zu viele Dokumentationen und Kleinteile da. Dafür hatten wir es im Laufe der Zeit geschafft, mehrere Räume fast wieder so sauber zu kriegen, wie als sie verlassen wurden - kein herumliegendes Papier oder Scherben mehr - alle uninteressanten Sachen als schöne Stapel in den Schränken. Für jemanden, der zufällig hier hereinschaute, und das Chaos erwartete, musste es ein merkwürdiger Eindruck sein. Übrigens liefen uns da ziemlich oft Leute (Arbeiter) über den Weg - die recht erstaunt waren, dass wir überhaupt wussten, was das für Geräte waren, die da vor uns standen...

Mehrfach begegneten wir ortsansässigen Jugendlichen im Gebäude, die schon damals einen gefährlichen Hang zu Feuer hatten und auf dem Boden eines leeren Raumes im anderen Gebäudeflügel ein Lagerfeuer entfacht hatten. Wir verbarrikadierten die eigentliche Rechenstation nach unserem Besuch jedes Mal so gut es ging. Leider wurde das Gebäude später ein vollständiger Raub der Flammen. Die Technik in dem anderen Lager war zwischenzeitlich kurzfristig entsorgt worden, um das Gebäude für den Abriss vorzubereiten. Es sollte einer Erweiterung des Freilagers weichen.

Können wir nur hoffen, dass die geretteten Unterlagen und Komponenten uns in Zukunft helfen werden, andere Anlagen wieder zum Leben zu erwecken. Einige Steckkarten aus den Maschinen in Rothenburg wurden in der Zeit von 1994 bis 2000 von den Leuten des robotron Anlagenbau Halle als Ersatzteile nach Thierbach gebracht (unter anderem eine Festplatte).

Die Fotos stammen vom August 2000. Es ist eine deutliche Verschlechterung des Gebäudezustandes gegenüber meinem ersten Besuch, als sogar noch einige der Lampen gingen, sichtbar. Die älteren Bilder wurden uns leider gestohlen.

Da das Drahtseilwerk schon seit Mitte der 70er Jahre, als das Gebäude für die ersten beiden K4201 und mehrere Cellatron C8205Z Klein-EDVA errichtet wurde, gut mit RT ausgerüstet war, konnten sie später, als die eigentlich schon längst moralisch verschlissenen alten Anlagen parallel zu den neuen K1600-Systemen und 16-Bit Bürocomputer betrieben wurden, Datenerfassungs- und Rechnerkapazitäten an andere Betriebe abgeben. Unterlagen belegen, dass sie in einem Rechnerverbund via DFÜ eingebunden waren, sodass ein Betrieb, wenn seine EDVA durch Havarie stand, dort weiterarbeiten konnte. An anderer Stelle fand sich ein Eintrag zu der K4201, welche bis Anfang der 90er im VEB Junkalor Dessau stand. (Die verlassenen Räume wurden von uns 2 Jahre zuvor besichtigt und es fanden sich Unterlagen und Software zur K4201.)

Im Gegensatz zu anderen großen ESER-Rechenzentren, wie man sie in Instituten, Hochschulen und nahezu jeder größeren Stadt fand, nimmt sich die Ausrüstung des Drahtseilwerkes noch bescheiden aus - für den Betrieb, der dem Kombinat Qualitäts- und Edelstahlwerk Freital zugeordnet war, stellte er technologisch einen beträchtlich hohen Stand dar. In der Produktion wurden Betriebsdatenterminals eingesetzt, welche via einer Netzwerkverbindung mit dem Zentralrechner (K1600) in Verbindung standen.

Zu DDR-Zeiten gab es, wie wir in Schriftstücken des RZ entnehmen konnten, strikte Sicherheitsvorschriften für den Betrieb des RZ. Personen aus dem NSW, dem nicht-sozialistischen (westlichen) Ausland, war es nicht gestattet, das Gebäude zu betreten. In den Räumen des RZ herrschte absolutes Foto-, Film- und Rauchverbot. Die Maschinen durften nur von speziellen Mitarbeitern bedient werden und es war scheinbar für viele RZ-fremde Leute eine regelrechte Tortur, durch die bürokratischen Hürden hindurch im RZ ihre Programme abarbeiten zu lassen. Demnächst gibt es zum Alltag in einem RZ einen eigenen Bericht - wir fand in mehreren Betrieben Zeitzeugnisse und Brigadebücher der Abt. "maschinelles Rechnen"...

Schematische Darstellungen:

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